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Nachhaltiger Rückbau: Ressourcen sparen mit recycelten Baumaterialien

Mit 250 Millionen Tonnen im Jahr machen Bau- und Abbruchabfälle 60 Prozent des gesamten Müllaufkommens aus. Würden alle Baustoffe wiederverwendet, könnte man fast 120 Millionen Tonnen CO2 und viele wertvolle Ressourcen einsparen. Die Forderung nach einem besseren Recycling von Baumaterial ist ein viel diskutierter Punkt in der Klimaschutzdebatte.

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Bremen, 15.06.2021: Mit 250 Millionen Tonnen im Jahr machen Bau- und Abbruchabfälle 60 Prozent des gesamten Müllaufkommens aus. Würden alle Baustoffe wiederverwendet, könnte man fast 120 Millionen Tonnen CO2 und viele wertvolle Ressourcen einsparen. Die Forderung nach einem besseren Recycling von Baumaterial ist ein viel diskutierter Punkt in der Klimaschutzdebatte.

Und brandaktuell: Auf dem Bau herrscht derzeit infolge der Pandemie der größte Materialengpass seit 1991.

Ersatzbaustoffe sind im Trend

Experten sind sich einig: Bauabfall kann und muss viel umfassender wiederverwertet werden, als dies bisher noch geschieht. Was den nachhaltigen Rückbau von abriss- oder sanierungsbedürftigen Gebäuden angeht, steht Deutschland noch ganz am Anfang. Das Thema ist jetzt aber aus aktuellem Anlass stärker in den Fokus gerückt. Grund sind die Materialengpässe am Bau. Von den rund 1.600 Mitgliedsunternehmen des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen meldeten Anfang Mai fast 90 Prozent "signifikante Engpässe". Der Baustoffmangel gefährde sowohl Neubauprojekte als auch Sanierungsarbeiten, teilte der Verband mit. Durch Lieferschwierigkeiten in mehreren Märkten gleichzeitig seien die Preise für Bauholz und -stahl sowie für Dämmstoffe stark gestiegen.

Da kommt die frisch verabschiedete Ersatzbaustoffverordnung der Bundesregierung gerade zur richtigen Zeit. Neue Qualitätsstandards sollen dafür sorgen, dass Bauherren zukünftig qualitätsgeprüfte Ersatzbaustoffe einfach und rechtssicher verwenden können. Zudem vereinheitlicht die neue Verordnung die ganz unterschiedlichen Regeln der 16 Bundesländer für das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen und schafft so zusätzlich Sicherheit und Klarheit. "Werden Ersatzbaustoffe beim Neubau von Straßen, beim Dämmen und im Hochbau eingesetzt, sparen wir große Mengen Primärbaustoffe und schonen natürliche Ressourcen", so Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). In mineralischen Bauabfällen stecke ein enormes Recycling-Potenzial. "Mit dieser Verordnung wird die Bauwirtschaft immer mehr zur Kreislaufwirtschaft.“

Rückbau beginnt bei der Planung

Dies ist eine sehr optimistische Einschätzung. Denn nachhaltiger Rückbau beginnt nicht erst im letzten Abschnitt des Lebenszyklus eines Gebäudes, sondern bereits bei der Planung. Die Homogenität der verwendeten Baustoffe ist hier ein wichtiger Aspekt. Je weniger unterschiedliche Materialien in einem Gebäude verbaut sind, desto niedriger ist die CO2-Bilanz bei der Entsorgung. Am besten aber sollten Bauteile gar nicht erst beseitigt werden müssen, sondern anderenorts wieder eingesetzt werden können.

Die Recyclingfähigkeit von Baumaterial wird vor allem erhöht durch sortenreine Trennbarkeit, das bedeutet, alle Bestandteile können separiert und wiederverwendet werden. Klar ist: Je mehr Baustoffe recycelt werden, desto weniger Flächen müssen für die Rohstoffgewinnung erschlossen werden. Recycling bzw. Re-use von Baumaterial sind enorm wichtige Hebel für konsequenten Klima- und Ressourcenschutz. Immer klarer wird aber auch, wie wenig Beachtung das Thema bisher erhalten hat. Der Rückbau ist das Stiefkind des nachhaltigen Immobilienlebenszyklus.

Beim Downcycling geht es um eine Wiederverwendung von Material mit geringerer Qualität und Funktion als zuvor. Ist z.B. Bauschutt einmal als Straßenbelag verbaut, ist er dem Materialkreislauf entnommen. Das ist kein echtes Recycling. Beim echten Recycling werden die aufbereiteten Stoffe zu Sekundärrohstoffen. Ein Teil von ihnen wird zwar anders als bisher, jedoch in gleichbleibend hoher Qualität genutzt. Nachhaltiges Bauen beim Rückbau von Häusern heißt deshalb: einen möglichst großen Recycling-Anteil der alten Materialien erreichen.

Neues DGNB Rückbauzertifikat

Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein neues Zertifizierungssystem entwickelt, das sich gezielt dem Rückbau von Gebäuden widmet. Neben der sortenreinen Trennung von Abfällen und Wiederverwendung von Materialien stehen auch Themen wie Gefahrstoffsanierung, Risikobewertung und Kostensicherheit im Fokus. Das Ziel des DGNB Rückbauzertifikats: Planer, Ausführende und Bauherren sollen Baustoffe und Konstruktionen im Sinne ihrer möglichen Weiternutzung, Wiederverwendung, getrennten Verwertung und getrennten Entsorgung/Deponierung auswählen bzw. planen. „Wir müssen uns mit der heutigen Rückbaupraxis beschäftigen, wenn wir das kreislauffähige Bauen im Bauwesen ernstnehmen“, mahnt DGNB-Geschäftsführerin Christine Lemaitre.

Die Zukunft: Der digitale Zwilling

Idealerweise müsste man bei der Bauplanung also die verwendeten Materialien akribisch dokumentieren, um sie später einmal schadlos in den Energie- und Materialkreislauf zurückführen zu können. Die Kür der Baudokumentation ist der sogenannte digitale Zwilling, ein intelligentes virtuelles 3D-Modell, das mit Informationen über das Objekt verknüpft wird und mit dem sogar Livedaten zum Gebäude und seinen Bauteilen abgerufen werden können. Nach der Fertigstellung des Bauwerks ist der digitale Zwilling im Facility Management ein Steuerinstrument für einen energie- und kosteneffizienten Betrieb. Bei einer geplanten Umnutzung können unterschiedliche Alter­nativen vorab am digitalen Modell ausprobiert werden. Die vorhandenen Informationen erleichtern beim Rückbau natürlich ungemein eine umweltfreundliche Entsorgung bzw. Recycling und Re-use des Baumaterials.

Bisher lohnt sich der digitale Zwilling aber eher bei komplexeren Nicht-Wohngebäuden wie z.B Industrie- und Logistikbauten. Es wird also noch etwas dauern, bis er im „normalen“ Baugeschäft ankommt. Aber immer mehr innovative Abfallwirtschaftskonzepte der Kommunen wie zum Beispiel das der Stadt Berlin und viele Forschungs- und Pilotprojekte zeigen: Die Verwendung von zirkulären Baustoffen und Abfallvermeidung im Bausektor sind längst keine Zukunftsvision mehr, sondern werden mit den Anforderungen an den Klimaschutz immer mehr zur Pflicht.