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Nachhaltig planen, bauen und betreiben – Für eine grüne Bauindustrie

Die Baubranche gehört zu den ressourcenintensivsten Bereichen der Wirtschaft. Entsprechend ist die Baubranche gefordert, effizienter mit Rohstoffen und Energie umzugehen, um so Bauwerke nachhaltiger planen, bauen und betreiben zu können.

Author

Sven Toelen

 

Ledezeit: 12 Minuten

Publiziert am: 30.05.2023

Nachhaltig planen, bauen und betreiben – Für eine grüne Bauindustrie
Dieser Artikel gehört zur Collection OPEN BIM
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Nieder mit den Datensilos, hin zum digitalen Gebäude-Ökosystem mit offenen Standards: Dieser Paradigmenwechsel beschäftigt die Bauindustrie seit Jahren. Ebendiese Vision verfolgte Professor Georg Nemetschek bereits bei der Gründung seines Ingenieursbüros im Jahre 1963 – und verwirklicht die Nemetschek Group mit ihren starken Marken heute und in Zukunft.

Anfänge der Digitalisierung in der Bauindustrie

1984 – drei Jahre nach der Einführung des ersten IBM Personal Computers – führte die damalige Nemetschek Programmsystem GmbH die objektbasierten Systeme ALLPLAN sowie ALLPLOT ein. Diese Systeme, wie auch später ARCHICAD, gingen einen großen Schritt weiter als andere verfügbare 3D-CAD-Systeme dieser Zeit. Sie versetzten Architekt*innen und Ingenieur*innen erstmals in die Lage, Skizzen am Computer zu generieren, zu bearbeiten und digital mit anderen Stakeholdern zu teilen.

Auch wenn die ersten Digitalisierungstools einige Prozesse im Bauwesen vereinfachten, generierten Datensilos aufgrund mangelnder Interoperabilität der Softwaresysteme so manches an „Handarbeit“ beim Transferieren der Daten. Dieses Schnittstellenproblem band nicht nur personelle Kapazitäten, sondern öffnete auch Flüchtigkeitsfehlern Tür und Tor und verzögerte Prozesse. Infolgedessen sprengten Bauprojekte häufig den Budget- und Zeitrahmen.

Gefragt war eine gemeinsame „Sprache“ im Bauwesen. Als Garant eines lückenlosen Informationstransfers erleichtern einheitliche Datenformate die Kollaboration entlang aller Projektetappen, verhindern Datenverluste sowie Fehler und stellen die langfristige Nachvollziehbarkeit von Bauprojekten sicher.

Geburtsstunde des BIM

Der holistische Daten-Ansatz manifestierte sich 1999 in der Plattform O. P. E. N., ersonnen von Professor Georg Nemetschek: Das seit 1993 erdachte datenbankgestützte System schlüsselte Bauwerke in semantische Bauproduktmodelle für den Zugriff durch verschiedene Softwaresysteme auf. O. P. E. N. lagen dieselben Strukturen zugrunde wie den späteren International Foundation Classes (IFC) der gemeinnützigen Organisation BuildingSMART: offene, neutrale, international anerkannte XML-Datenformate für Bauprojekte. Das Entstehen der International Foundation Classes (IFC) gilt auch als Geburtsstunde von BIM (Building Information Modeling).

2012 folgte ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Harmonisierung der Datenwelten im Bauprojektlebenszyklus. Gemeinsam mit buildingSMART International und führenden Softwareanbietern rief Nemetschek die OPEN-BIM-Initiative ins Leben mit der Mission, alle relevanten Daten zu einem Bauwerk mittels herstellerunabhängiger Standardformate in die 3D-CAD-Modelle von Bauwerken zu integrieren. Neben der architektonischen Struktur lässt sich das Gebäudemodell so mit vielen wertvollen Informationen und Kalkulationen anreichern, beispielsweise für die kaufmännische Planung oder das Facility Management. Dank dieser ganzheitlichen Betrachtung eines Gebäudes oder einer Infrastruktur als dynamisches Ökosystem lassen sich neue ökonomische und ökologische Potenziale entlang des gesamten Lebenszyklus intelligent ausschöpfen.

Vom Gebäudemodell zum Digitalen Zwilling

Gebäude und Infrastrukturen sind deutlich dynamischer, als man es auf den ersten Blick vermuten würde. Sie entwickeln sich stetig weiter, nicht nur auf der Datenebene, sondern auch auf der handfesten physischen Ebene. Umbauten während der Nutzungsphase lassen die Schere zwischen dem digitalen Modell und der gebauten Realität des Gebäudes immer weiter auseinanderklaffen. So wird es zunehmend schwieriger, auf Basis des ursprünglichen digitalen Modells zukunftsgerichtete Entscheidungen zu treffen.

Um die Schere zu schließen, muss der Ist-Zustand des Gebäudes mittels Reality-Capture-Technologien erfasst, semantisch verknüpft und mit dem 3D-CAD-Bauplan abgeglichen werden. Aus diesen Informationen sowie Echtzeit-Sensordaten, beispielsweise aus dem Gebäudeautomationssystem, lassen sich seit Oktober 2023 mit der cloudbasierten, offenen Plattform der Nemetschek Group dTwin Digitale Zwillinge von Gebäuden errichten. Digitale Zwillinge liefern eine objektive und interaktive Basis für Entscheidungen entlang des gesamten Gebäudelebenszyklus. Ein weiterer wichtiger Meilenstein im Ansatz „Denken im Ganzen“.

Heute, nach mehr als 60 Jahren Pionierarbeit und Vorreiterrolle, vernetzt die Nemetschek Group mit ihrem umfangreichen Portfolio alle Bauphasen, Gewerke und Stakeholder auf der ganzen Welt. Mit den innovativen Digitalisierungslösungen arbeiten über sieben Millionen Menschen weltweit erfolgreich und effizient an Bauwerken und Infrastrukturobjekten der Gegenwart und der Zukunft. Sei es in der Planung, in der Bauphase oder im Gebäudebetrieb – mit offenen Schnittstellen, technischer Expertise und Know-how treibt Nemetschek als Schrittmacher die interdisziplinäre Kollaboration im gesamten Baulebenszyklus voran. Wenn innovative Software und offene Standards Reibungsverluste zwischen den einzelnen Phasen des Gebäudelebenszyklus eliminieren, wird der komplette Bauprozess termintreuer, effizienter, wirtschaftlicher und nachhaltiger. Vom Denken im Ganzen zum Bauen im Ganzen.

Der typische Konflikt bei Abläufen

Planer*innen verlangen von den Teams vor Ort, dass sie Metallkonstruktionen gemäß den Spezifikationen und BIM-Modellen für technische Dienstleistungen installieren. Die Installation von feuerfesten Wandständern beinhaltet die Einrahmung von Verkleidungskästen um Öffnungen für bestimmte technische Installationen, um eine ordnungsgemäße Brandabdichtung zu gewährleisten. Die Teams vor Ort benötigen jedoch eine koordinierte Planung, um die technischen MEP/HVAC-Layouts abzuschließen, bevor die Trennwände aufgestellt werden. Idealerweise sollten die Öffnungen vor der Installation der technischen Anlagen vorbereitet werden, was eine genaue Überlagerung der Anlagenlayouts auf den Trennwandzeichnungen erfordert. Dies geschieht jedoch nur selten, da die Planungsteams die Pläne während der Koordination häufig optimieren, was sich auf die Platzierung der Metallwandständer auswirkt. Diese Herausforderung in Bezug auf die Reihenfolge stellt ein erhebliches Projektrisiko dar, insbesondere dann, wenn die Brandschutztrennwände von beiden Seiten geschlossen sind und die Sicht behindert wird. Eine Beschädigung der Wandständer bei späteren Installationen kann die Feuerbeständigkeit der Wand beeinträchtigen.

Überprüfung der Verarbeitungsqualität von Brandschutzwandinstallationen mit Imerso AI

Mit Imerso konnte das Bauteam des Nyt Hospital Nordsjælland seine Baukontrolle um das 15-fache steigern, indem es selbständig 3D-Scans durchführen konnte – eine Aufgabe, die traditionell als zeitaufwändig galt und Experten für die Vermessung erforderte. Die Imerso-Plattform analysiert den Ist-Zustand auf der Baustelle anhand von BIM-Modellen und meldet umgehend den Arbeitsstatus und Abweichungen. Projektleiter Anders Kaas verhinderte innerhalb weniger Monate zahlreiche kostspielige Probleme und übertraf damit die Erwartungen. Darüber hinaus gelang es dem Team von Anders Kaas, die Installation der feuerfesten Wandstützen mit Imerso vor Ort genau zu überwachen und eine millimetergenaue Platzierung sicherzustellen. Durch schnelle Vergleiche mit BIM-Plänen wurden potenzielle Probleme identifiziert, die umgehend behoben wurden, um die Gebäudesicherheit durch eine effiziente Routineüberwachung des Arbeitsstatus zu erhöhen. Lesen Sie hier die Ergebnisse der ersten 16 Monate..

Bessere Designkontrollen mit Qualitätsprüfungen vor Ort kombinieren

Eine weitere typische brandschutztechnische Herausforderung bei Bauprojekten besteht in der Installation von technischen Anlagen durch Wandöffnungen im Betonaufbau. Um die Brandschutzfunktion zu erhalten, müssen solche Geräte in bestimmten Abständen von der Struktur und untereinander installiert werden, um eine angemessene Brandschutzisolierung zu ermöglichen.

Die verbreitete BIM-Koordinierungssoftware Solibri, ein branchenführendes Tool und Partner von Imerso, hat vor kurzem neue Regelsätze zur automatischen Prüfung der Brandschutzkonformität in BIM-Modellen eingeführt. Aber selbst bei Projekten, die diese präzisen Modelle nutzen, tritt das Problem auf, wenn die Installationen vor Ort vom geplanten Entwurf abweichen und undokumentiert bleiben, da herkömmliche manuelle und visuelle Kontrollen mit Fotos, 360°-Panoramabildern und manuellen Checklisten nicht ausreichen, um solche Änderungen zu erkennen. Durch die Analyse des Installationsstatus vor Ort im Vergleich zu den BIM-Plänen hilft Imerso dem Team des Nyt Hospital Nordsjælland zu verhindern, dass solche versteckten Abweichungen übersehen werden, da sie sofort erkannt werden.

Nachhaltig Betreiben

Rund 80% der Kosten eines Gebäudes fallen während der Nutzungsphase an. Ein großer Teil dieser Ausgaben entsteht durch den Energieverbrauch. Digitale Tools helfen beim Monitoring und bei der Reduzierung dieses Energieverbrauchs – und ermöglichen zudem die optimale Steuerung von Heizungen, Lüftungen und Beleuchtungen. Sie können auch dazu verwendet werden, den vorhandenen Büroraum effizient zu planen und zu nutzen, indem sie aufzeigen, wie viel Fläche tatsächlich benötigt wird. So können ebenfalls Ressourcen eingespart werden.

Den Wandel als Chance begreifen

Der Gesundheitssektor steht auch in Bezug auf das Betreiben von Immobilien weltweit vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Zum einen steigt aufgrund des demografischen Wandels die Nachfrage nach neuen Einrichtungen für betreutes Wohnen und Pflegeeinrichtungen kontinuierlich an. Zum anderen legen beispielsweise eine Vielzahl der Regierungen größeren Fokus auf die Umsetzung von Nachhaltigkeit und die Reduzierung des Energieverbrauchs beim Betrieb einer Pflegeeinrichtung.

Diesen Herausforderungen stellt sich auch die Pflegeorganisation „Stichting Voor Regionale Zorgverlening“ (SVRZ) in der Region Zeeland (Niederlande). Sie kümmert sich vor allem um schutzbedürftige ältere Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung oder Beeinträchtigungen durch beispielsweise Demenz kurz- oder langfristig Pflege und Unterstützung benötigen. Mit mehr als 57 Pflegeeinrichtungen, verteilt auf 23 Zentren in der Region Zeeland, steht die SVRZ in Bezug auf den Erhalt seiner Bestandsimmobilien vor großen Herausforderungen. Auch deshalb wird dieser Bereich von einer eigenständigen Abteilung verantwortet, die bereits seit 2012 bei der mehrjährigen Wartungsplanung die Spacewell Lösung „Spacewell Maintenance Planning“ einsetzt.

Im Jahr 2020 wurde der Masterplan Energiewende mit dem Untertitel: „Volle Kraft voraus zu 0-Gas“ von SVRZ verabschiedet. Die SVRZ hat das nachhaltige Ziel und den Ehrgeiz, ihre Pflegeimmobilien bis 2030 vollständig gasfrei zu betreiben. Wenn dieses ehrgeizige Ziel umgesetzt werden könnte, würde die SVRZ schon vor 2030 die nationalen Klimazielen für das Jahr 2050 erreichen.

Seitdem hat die Organisation mehr als 6.500 Solarmodule installiert. Dabei wurde im Vorfeld der technische Zustand der Dacheindeckung anhand des mehrjährigen Wartungsplans überprüft. An mehreren Standorten wurde, wo notwendig, vor der Installation der Solarpanels die Dacheindeckung erneuert, was den Dämmwert auf das Niveau der aktuellen Standards für Neubauten erhöhte.

Die SVRZ wandte bei Renovierungen auch das Prinzip des natürlichen Austauschmoments an: so wurden beispielsweise herkömmliche Leuchtmittel im Rahmen von Renovierungsaktivitäten standardmäßig durch moderne und energiesparende LED-Beleuchtung und vorhandene Gasboiler durch elektrische Wärmepumpentrockner ersetzt. So konnte die SVRZ im Zeitraum 2018-2020 eine CO2-Reduktion von nicht weniger als 28 % erreichen und den Gasverbrauch um mehr 400.000 m³ Gas pro Jahr senken. In den kommenden Jahren wird die Umsetzung des Masterplans Energiewende auf Basis des nachhaltigen mehrjährigen Instandhaltungsplans weiter fortgesetzt.

(c) Groepswoning ter Schorre

Spacecwell Project

(c) Groepswoning ter Schorre

Das Büro der Zukunft

Das Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck hat seine Konzernzentrale in Darmstadt und beschäftigt weltweit über 60.000 Mitarbeitende in über 60 Länder. Allein in Deutschland arbeiten mehr als 12.000 Mitarbeitende daran, Lösungen für einige der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden.

Wie in vielen Unternehmen üblich, hatten bisher alle Mitarbeitendenn des Unternehmens einen fest zugewiesenen Arbeitsplatz. Neue Arten der Arbeitsplatz- und Flächennutzung wurden zwar erprobt - ein strategischer Ansatz für hybrides Arbeiten und das Büro der Zukunft erfuhr aber erst durch die COVID-19-Pandemie einen deutlichen Schub.

Um die Firmenzentrale fit für das Arbeiten der Zukunft zu machen und alle Mitarbeitende an einem modernen Bürokonzept partizipieren zu lassen, setzte Merck bei der Neugestaltung der Arbeitsumgebung auf die Implementierung der Workplace Lösungen von CREM SOLUTIONS. Die Maxime des Konzepts lautete: Weg von festen Arbeitsplätzen und hin zu „New Work” beziehungsweise „Activity Based Working”. Als Teil des Umgestaltungsprozesses ermöglichten die Workplace Lösungen eine aussagekräftige Analyse der Flächen- und Arbeitsplatznutzung und sorgten insbesondere während der COVID-19-Pandemie für eine sichere Rückkehr der Mitarbeitenden ins Büro.

Auch ein quantitatives, datenbasiertes Monitoring der belegten Flächen ist möglich. Hauptziel ist dabei die proaktive Steuerung der zur Verfügung stehenden Flächen und die Möglichkeit, in Echtzeit auf Veränderungen der Organisation sowie des Nutzer*innenverhaltens reagieren zu können. Die mit dem Workplace-System gesammelten Informationen werden weitgehend analysiert und für zukünftige Szenarien genutzt, um so die weitere Digitalisierung von Gebäuden und Büros des Unternehmens voranzutreiben sowie moderne Arbeitsweisen umsetzen zu können. Durch eine effiziente Steuerung können sowohl die Flächennutzung als auch der Energieverbrauch optimiert werden – beispielsweise müssen nicht mehr alle Bürobereiche pauschal beheizt oder dauerhaft beleuchtet werden. Auf Basis der fundierten Planungen, gesammelter Erfahrungen und der engen Zusammenarbeit zwischen den Projektteams wurden die Workplace-Lösungen und die integrierten IoT-Lösungen (Internet-of-Things) so konzipiert, dass der gewünschte Bedarf der Merck Group unkompliziert und komplett in einem Smart-Building-System abgebildet wird. Auf Dauer wird ein flächendeckender Einsatz des Workplace-Systems in den dafür geeigneten Objekten angestrebt.

(c) Tobi Bohn Fotografie

(c) Tobi Bohn Fotografie

(c) Tobi Bohn Fotografie

Die Bauindustrie als Kreislauf denken

Die Projektbeispiele zeigen, dass ein Umdenken in der Baubranche herrscht: Weg von analogen Silos, hin zu digitaler Kollaboration. Dieses Umdenken wird auch von der Notwendigkeit, nachhaltiger zu planen, zu bauen und zu betreiben angetrieben. Mithilfe der Digitalisierung kann dieser Kreislauf von der ersten Planung bis zum Ende des Lebenszyklus geschlossen werden – für eine nachhaltigere, zukunftsträchtige Baubranche.

Kontakt
Ulrike Beringer

Senior Director Group Communications & Corporate Responsibility

[email protected] +49 162 262 5459